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Allgemeines über Zwillingsforschung
 

Klassische Zwillingsforschung

In der Zwillingsforschung werden eineiige und zweieiige Zwillinge untersucht, um Ähnlichkeiten bei bestimmten Merkmalen zu erforschen. Dies hilft dabei zu verstehen, wie stark genetische und Umweltfaktoren diese Merkmale beeinflussen. Zum Beispiel gilt das auch für Krankheiten. Im Gegensatz zu konventionellen Ansätzen, bei denen Patient:innen mit Personen ohne die entsprechende Krankheit verglichen werden und genetische oder Umweltfaktoren nicht zu unterscheiden sind, ermöglicht die Untersuchung von Zwillingspaaren eine genaue Bestimmung dieser Einflüsse. Dadurch bietet sie großes Potenzial, neue Erkenntnisse über die Entstehung von Krankheiten zu gewinnen.

Durch mathematische Analysen wird der Anteil der genetischen Veranlagung (Heritabilität) sowie der Einfluss der erlebten Umweltfaktoren bestimmt. Zwillinge sind für die Forschung besonders wertvoll, da eineiige Zwillinge 100 % ihrer Gene teilen, während zweieiige Zwillinge etwa 50 % teilen. Da sie oft auch in ähnlichen sozialen Umgebungen aufwachsen, können Forscher:innen besser verstehen, welchen Beitrag Genetik und Umwelt für verschiedene Merkmale und Verhaltensweisen leisten.

Stellen Sie sich beispielsweise ein eineiiges Zwillingspaar vor, das gemeinsam aufgewachsen ist. Vor einigen Jahren sind die Zwillinge jedoch in unterschiedliche Regionen gezogen: Die eine Person lebt nun in einer Großstadt, während die andere aufs Land gezogen ist. Bei diesem Zwillingspaar können Forscher:innen untersuchen, wie Unterschiede in der Umwelt zu Unterschieden im Körper oder Gehirn führen, da ihre genetischen Voraussetzungen und viele ihrer Aspekte der frühen Lebensumwelt identisch sind.

Das Ziel der Zwillingsmethode ist es, den Anteil der genetischen Veranlagung im Verhältnis zur Umwelt zu klären. Die Erkenntnisse aus der Zwillingsforschung sind nicht nur für die Erforschung von Krankheiten relevant, sondern können auch bei der Gestaltung menschlicher Umwelten wie Architektur und Stadtplanung helfen.

Seit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Jahr 2008 hat sich die Zwillingsforschung entscheidend weiterentwickelt. Dank technologischer Fortschritte können Forscher:innen heute nicht nur Unterschiede oder Gemeinsamkeiten beschreiben, sondern auch umfassende biologische und direkte Vergleiche von Zwillingspaaren durchführen. Dabei können verschiedene Faktoren wie Umwelt, Lebensstil, Ernährung und Sport sowie sich verändernde Genome berücksichtigt werden, die durch biologische Bedingungen, Lebensereignisse, soziale Umstände und individuelles Verhalten beeinflusst werden (sogenannte Epigenetik).

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Zwillingsforschung in Deutschland 

In Deutschland machen 3-4 % aller Geburten sogenannte Mehrlingsgeburten aus, wobei die meisten davon Zwillingsgeburten sind. Etwa ein Drittel davon sind eineiige Zwillinge, während der Rest zweieiige Zwillinge sind. Derzeit leben in Deutschland mehr als 1,5 Millionen Zwillinge, und ihre Zahl steigt weiter an.

Die Zwillingsforschung in Deutschland ist aufgrund ihrer wechselvollen Geschichte ein leider teils vernachlässigtes Forschungsgebiet, obgleich bis heute Langzeit- und Echtzeitstudien für Zwillingen in vielen medizinischen Fragestellungen einen hohen Stellenwert beigemessen wird. Obwohl die Zwillingsforschung bereits im 19. Jahrhundert begründet wurde, geriet sie während des Zweiten Weltkriegs in Verruf. Dieses Stigma und die folgende historische Verdrängung der Gräueltaten im Bereich der medizinischen Forschung während des Nationalsozialismus, gepaart mit den ethischen und datenschutzrechtlichen Herausforderungen, erschwerten den Aufbau eines nationalen Zwillingsregisters.

Derzeit gibt es drei große deutsche Zwillingskohorten: die biomedizinische Kohorte HealthTwiSt (Berlin), die soziologisch-psychologische Kohorte TwinLife (Bielefeld & Saarbrücken) und die forschungsoffene und nachhaltige Zwillingsforschung TwinHealth (Tübingen).

GerTRuD (Berlin) strebt danach, ein einheitliches Register für Deutschland zu etablieren, das die Zwillingsforschung bündelt, organisiert und ethisch sowie datenschutzrechtlich möglich macht.

Lassen Sie uns gemeinsam die Zwillingsforschung in Deutschland zu einer positiven und zukunftsweisenden Wissenschaft machen!

 

Mehr zur Zwillingsforschung in Deutschland bietet die Veröffentlichung:

  • Enck, P., Goebel-Stengel, M., Rieß, O., Hübener-Schmid, J., Kagan, K. O., Nieß, A. M., Tümmers, H., Wiesing, U., Zipfel, S., Stengel, A., & TwinHealth-Konsortium (2021). Medizinische Zwillingsforschung in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt, 64, 1298–1306.  https://doi.org/10.1007/s00103-021-03400-2

 

Nutzen der Zwillingsforschung 

Mit Hilfe von Zwillingsstudien können Wissenschaftler:innen auf einzigartige Weise den Einfluss und das Verhältnis von genetischen und umweltbedingten Faktoren auf Menschen analysieren.

Die Analysen beruhen auf einem Vergleich der Ähnlichkeit von ein- und zweieiigen Zwillingen. Dabei machen wir uns die Tatsache zu Nutze, dass eineiige Zwillinge fast exakt die gleichen Erbanlagen aufweisen und gleichzeitig unterschiedliche Umwelteinflüsse teilen (z. B. Lebensform, Ort, Bewegungsmuster etc.). Zweieiige Zwillinge teilen im Schnitt 50% ihrer Gene. Im Unterschied zu normalen Geschwistern kann man bei ihnen allerdings – ebenso wie bei eineiigen Zwillingen – davon ausgehen, dass sie sehr viele Umweltfaktoren miteinander teilen (wie Familie, Wohnraum etc.).

Der Vergleich zwischen ein- und zweieiigen Zwillingen ermöglicht uns, den Einfluss von Genen und Umwelt in Bezug auf verschiedene Merkmale (wie z.B. Extravertiertheit) abzuschätzen. Ähneln sich eineiige Zwillinge in einem Merkmal mehr als zweieiige, so deutet dieser Unterschied der Zwillingspaare darauf hin, dass genetische Faktoren eine Rolle bei der Ausprägung dieses Merkmals spielen. Unterscheiden sich ein- und zweieiige Zwillinge hingegen nur geringfügig, legt deren Ähnlichkeit nahe, dass genetische Faktoren wahrscheinlich einen geringeren Einfluss ausüben und die Ursache dafür eher im Bereich der Umwelt zu suchen ist.

 

Zwillinge, Verhaltensgenetik und Umwelt 

Im Bereich der Verhaltensgenetik erforschen Wissenschaftler:innen vor allem, inwieweit die Eigenschaften einer Person (wie Persönlichkeit, Intelligenz, Einstellungen usw.) durch Unterschiede in den Genen (Erbanlagen), Umwelteinflüsse und deren Interaktion erklärt werden können. Diese Eigenschaften werden oft als Phänotypen bezeichnet.

Genetische Einflüsse basieren auf den Erbanlagen eines Menschen. Jede:r von uns hat einen genetischen Bauplan, der unsere Eigenschaften beeinflusst. Einige Eigenschaften werden stärker von den Genen beeinflusst als andere.

Gleichzeitig werden fast alle Eigenschaften auch von Umwelteinflüssen beeinflusst, wie z.B. von der elterlichen Erziehung oder dem sozialen Umfeld. Umwelteinflüsse sind Ereignisse oder Umstände, die unsere Eigenschaften beeinflussen. Ähnlich wie bei den Genen beeinflussen Umwelteinflüsse einige Eigenschaften stärker als andere.

Die Erblichkeit beschreibt, wie stark die beobachteten Unterschiede in einer Eigenschaft zwischen Individuen auf genetische Unterschiede zurückzuführen sind. Oft findet man Erblichkeitsschätzungen in wissenschaftlichen Artikeln. Wenn sich Mitglieder einer bestimmten Gruppe in einer Eigenschaft unterscheiden (z.B. Persönlichkeit), gibt die Erblichkeit an, welcher Teil dieser Unterschiede auf genetische Unterschiede zurückzuführen ist und nicht durch Umwelteinflüsse erklärt werden kann. Es ist wichtig zu betonen, dass die Erblichkeit keine Aussage über die Entwicklung einer einzelnen Person trifft, sondern sich immer auf den Durchschnitt der Gesamtbevölkerung bezieht.

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